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Gesund, erfolgreich und schön

Menschen vermessen ihren Alltag oder zeigen im Internet, wie sportlich sie sind

Von Renate Haller, aus der Sonderbeilage der Evangelischen Sonntags-Zeitung

Leistung ist nicht länger nur Schule oder Beruf vorbehalten. Mit digitalen Mitteln wie Fitnessarmbändern und -uhren oder mit Apps auf dem Smartphone messen Menschen längst mehr als Schritte und Kalorienverbrauch. Und viele zeigen in den sozialen Medien, wie sportlich sie sind.

Am Abend ist Zeit für die Bilanz. Fitnessarmbänder und Smartphone-Apps zeigen ihren Nutzern, wie viele Schritte sie im Laufe des Tages gegangen sind, wie ihr Blutdruck und Herzschlag waren, ob sie ausreichend getrunken und wie viele Kalorien sie zu sich genommen haben. Eine App zeigt den Körperfett- und Muskelanteil oder den Blutzuckerwert, die »Wake-App« verrät, wie viele Tiefschlafphasen es in der Nacht gab. Sind die Ergebnisse des Tages unbefriedigend, weil sie nicht an das Ziel für diesen Tag heranreichen, ärgert das den Nutzer und beschleunigt eventuell seinen Herzschlag. Gut möglich, dass die Smartwatch dann den Hinweis gibt, bitte zu entspannen.

Gesund, erfolgreich und schön: Millionen Menschen sind in Deutschland damit beschäftigt, ihre Leistung zu steigern und das Maximum aus sich heraus zu holen. »Selbstoptimierung« heißt der Trend. Die einen folgen zu Hunderttausenden Fitness- und Ernährungsblogs, die anderen messen alle Körperregungen und arbeiten sich an ihren selbst gesetzten Zielen ab.

Der eigene Körper wird als Ebene des Beherrschbaren gesehen

Verändert die permanente Selbstvermessung die Gesellschaft? »Definitiv«, sagt der Soziologe Stefan Selke. Die digitalen Konsumenten erheben ihre Daten, verraten sie an Facebook und Co., die sie wiederum etwa an Versicherungen weiterleiten können. Diese verknüpfen die Daten, also möglicherweise Ernährungs- mit Bewegungsdaten, und können so Profile erstellen und erkennen, ob der Mensch ein guter Kunde für sie ist oder nicht, erläutert der Professor an der Hochschule Furtwangen. »Es wird zu rationaler Diskriminierung kommen«, warnt er. Wer Frauen oder Schwarze ablehnt, handele ohne logische Gründe. Wer aufgrund von Datenanalyse jemanden ablehne, der einen zu hohen Bodymassindex hat, legitimiere seine Diskriminierung mit Daten, erklärt Selke, der zu »Lifelogging« forscht, zur digitalen Selbstvermessung. Er wisse von einer privaten Universität in den USA, die ihre Studierenden zur Selbstvermessung verpflichte. Wer nicht mitmache, habe an der Uni nichts verloren.

In einer komplexen und vielfach als unbeherrschbar empfunden Welt zögen sich viele zurück auf eine Ebene des Beherrschbaren, den eigenen Körper. Gleichzeitig suchten Unternehmen nach neuen Absatzmärkten für ihre Instrumente und Technologien. Beides helfe, sich im Sinne von permanenter Effektivität wettbewerbsfähig zu machen, sagt Selke.

Die alleinige Konzentration auf das, was der Mensch selber tun kann, führe zu einer Entpolitisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. So sei es zwar gut, sich zu bewegen, aber man dürfe auch den jeweiligen Kontext nicht ausblenden, also die Frage, welche Strukturen wie etwa Schichtarbeit oder Smog zu Krankheit führen. Wen Arbeits- oder Wohnbedingungen krank machen, dem helfe auch tägliche Bewegung nicht, betont Selke.

Vor allem den positiven Effekt, dass die Einzelnen Selbstverantwortung übernehmen, sieht dagegen die Trend- und Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen. Selbstoptimierung ist für sie »ein Lebensansatz, bei dem der Einzelne versucht, sich selber zu optimieren, wobei es nicht darum gehen muss, das Maximale zu erreichen«. Hinter dem Trend stehe die Individualisierung. Diese wiederum hänge mit dem abnehmenden Einfluss von Institutionen wie Kirche, Staat und Familie zusammen. »Die Einzelnen werden auf sich selber zurückgeworfen und versuchen, das Vakuum an Haltgebern wieder zu füllen. Das ist eine gute Strategie«, folgert Mühlhausen.

Die Trendforscherin hat in ihren Untersuchungen den Begriff »Healthstyle« geprägt. Damit sei ein Lebensstil gemeint, der Gesundheit nachhaltig und ganzheitlich betrachtet. Dabei gehe es nicht nur um die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch um Fitness, Leistungsfähigkeit und Schönheit. Diese Entwicklung gehe wiederum einher mit einem »irrsinnigen Markt« für die Pharmaindustrie, für Kosmetik, Sport, Reise und Ernährung.

Menschen mussten lernen, dass sie selber etwas tun müssen

Der Trend zur Selbstoptimierung kommt laut Mühlhausen aus der Gesundheit. In der Vergangenheit haben die Patienten erfahren, dass sie nicht mehr alles von den Krankenkassen erstattet bekommen. »Die Vollkaskomentalität wurde eingeschränkt und die Menschen mussten lernen, dass sie selber etwas tun müssen«, sagt die Zukunftsforscherin. In der Folge hätten sie gesehen, dass es sich lohnt, etwas zu tun. »Die Lebenszufriedenheit steigt, wenn die Menschen selber einen Beitrag für ihre Gesundheit leisten.«

Die Beschäftigung mit sich selbst ist für Mühlhausen eine Folge davon, dass sich die Menschen in Punkto Arbeit und Perfektion lange zu viel zugemutet haben. »Wir haben die Vorteile der Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung genutzt und sind an unsere Grenzen gestoßen«, sagt sie. Inzwischen hätten die Menschen erkannt: »Erst wenn ich mir selber helfen kann, kann ich auch anderen helfen«. Wenn sogenannte Trackinggeräte ihnen helfen, zur Ruhe zu kommen, dann sei das für sie ein legitimes Mittel.

Eine Gefahr sieht Mühlhausen dort, wo Menschen Gefahr laufen durch die Selbstoptimierung in eine Sucht zu geraten oder wenn sie falschen Vorbildern hinterher laufen. Nicht jeder könne gleich schmal oder beweglich sein, Körper seien nun einmal verschieden.

Auf der Plattform »Instagram« etwa gibt es unzählige Menschen, die täglich posten, wie gesund sie sich ernähren, wie viel Sport sie machen und welch perfekten Körper sie haben. Das setzt diejenigen unter Druck, die diesen Vorbildern nacheifern.

Louisa Dellert ist eine Bloggerin aus Hamburg. Ihre Themen sind Fitness, Ernährung, Selbstliebe und Motivation. Auch ihre Seiten in den sozialen Medien zeigen nahezu makellose Menschen, die viel Zeit für Sport und zur Zubereitung von gesunden und kalorienarmen Mahlzeiten haben. Aber sie setzt dem Perfektionismus auch etwas entgegen. Nach einer Herzoperation habe sie erkannt, dass es wichtigeres im Leben gebe, als definierte Bauchmuskeln, nämlich die Gesundheit. Sie fordert ihre Abonnenten – immerhin mehr als 300 000 – dazu auf, sich selbst zu lieben, trotz vielleicht dicker Nase oder kurzer Beine: »Euer Ziel sollte es nicht sein, dass ihr euch nie wieder mit anderen Menschen vergleicht. Vielmehr solltet ihr nach einem Vergleich trotzdem glücklich und dankbar weiterziehen können. Ihr solltet euch und euer Leben lieben und wertschätzen. Es kann viel zu schnell vorbei sein.«

In ihrem Blog zeigt die 27-Jährige auch Versionen von bearbeiteten und unbearbeiteten Fotos. Die einen zeigen einen schlanken Körper und glatte Haut, die anderen ein wenig mehr Rundungen und Cellulite am Po. »Die Leser freuen sich, dass sie endlich etwas realitätsnahes sehen. Das ist heutzutage leider sehr selten, aber super wichtig«, sagt sie.

 

Wir danken der Evangelischen Sonntagszeitung für das Veröffentlichungsrecht dieses Artikels.

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Ulrike Scherf

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